Dielenschrank um 1830

Beschreibung

Der ländliche Dielenschrank aus Kiefernholz, versehen mit einer Kirschbaum imitierenden Öllasur um 1830, war eigentlich dem Verfall preisgegeben. Das Holz war desolat wurmstichig und brüchig. Es fehlten sämtliche Bestandteile wie Profile und Leisten; ganze Partien waren einfach weggebrochen. Der Zustand war derart prekär, dass die funktionale Stabilität des Schrankes nicht mehr gewährleistet war. Der Restaurierungsprozess erforderte somit gleich zu Beginn die komplette Zerlegung des Möbels. Eine Analyse des vorhandenen Zustands erbrachte einen Arbeitsaufwand, der jenseits wirtschaftlicher Vorstellungen lag. Trotzdem entschied ich mich für eine fachgerechte Restaurierung. Eine Querschliffanalyse sowie eine mikrochemische Untersuchung an einem Probepartikel erbrachten die Erkenntnis, dass es sich um eine Öllasur mit Eisenpigmenten handelte, die aber nachweislich nicht der Originaloberfläche entsprach, sondern nachträglich zu einem späteren Zeitpunkt aufgemalt wurde. Das zeigte das Fehlen einer Lasur unter den Profilleisten und das Vorhandensein einer Lasur, an der gegenüberliegenden Seite ohne Profilleiste. Die Holzimitation konnte aufgrund starker optischer Beeinträchtigungen nicht erhalten werden. Nach vielen Stunden der Holzarbeit wurde die Oberfläche mit einem Halböl eingelassen und nochmals fein geschliffen. Anschließend mit Wachs poliert. In einem Aufwand von 240 Arbeitsstunden steht der Dielenschrank heute in unserem Wohnzimmer. Der Schrank war innen mit Zeitungspapier aus dem Jahre 1850 gegen Kleidermotten abgedichtet worden. Dem Inhalt der Texte zufolge wurden einige kleine Vergehen von Bürgern im Herzogtum Mecklenburg-Schwerin angeprangert und ihre Strafen somit öffentlich verkündet. Der größte Teil des Textes war aber leider schon verblasst.

Ländliche Dielenschränke aus der Zeit um 1830 in Norddeutschland spiegeln in vielerlei Hinsicht die sozialen, wirtschaftlichen und ästhetischen Verhältnisse ihrer Zeit wider. Vornehmlich aus Kiefernholz gefertigt, einem in den ausgedehnten Wäldern Norddeutschlands reichlich vorhandenen und damit kostengünstigen Material, waren sie ein unverzichtbarer Bestandteil der ländlichen Haushalte. Die Verwendung von Kiefernholz hatte neben wirtschaftlichen auch praktische Gründe. Kiefer ist ein leicht zu bearbeitendes, jedoch langlebiges (bei guter Behandlung) Holz, das sich gut für die Möbelfertigung eignet. Es hat jedoch eine deutlich weniger edle Anmutung als beispielsweise Mahagoni, Eiche oder Kirschbaum – Hölzer, die vor allem in wohlhabenderen Haushalten für die Möbelherstellung verwendet wurden. Um diesem Mangel entgegenzuwirken und die Möbelstücke optisch aufzuwerten, griffen Handwerker und Möbelmacher des 19. Jahrhunderts auf holzimitierende Lasuren zurück. Diese Lasuren, oft basierend auf Öl mit zugesetzten Pigmenten, wurden so angemischt und aufgetragen, dass sie die Maserung und Farbgebung edlerer Hölzer wie Kirschbaum nachahmten. Diese Praxis war nicht nur eine Frage des Geschmacks, sondern auch des Stolzes und des sozialen Ansehens. Ein ländlicher Haushalt, der sich mit Möbeln präsentieren konnte, die auf den ersten Blick aus teurerem Holz gefertigt schienen, gewann an Prestige.

Die ländlichen Dielenschränke dieser Zeit waren robust und zweckmäßig konzipiert, um Kleidung, Wäsche und andere Haushaltsgegenstände aufzunehmen. Ihre Größe und Gestaltung konnten variieren, jedoch waren viele mit aufwendigen Beschlägen, kunstvollen Verzierungen und oftmals einer aufwendigen Inneneinteilung ausgestattet.